Text & Fotos: Th. Heckmann Eine Übung mit 160 Verletzten nur am Ereignisort stattfinden zu lassen und dann die Verletzten lediglich an der nächsten Ecke wieder aus dem Rettungswagen aussteigen zu lassen, war den Organisatoren zu wenig. Die große Anzahl von Verletzten muss bei einem echten Einsatz in den Krankenhäusern versorgt werden und die Ulmer Kliniken haben diese Übung bis hinein in das Krankenhausbett umgesetzt.
Seit sieben Jahren gibt es in Ulm die „Klinikübergreifende Sicherheitskonferenz“ (KLÜSIKO), in der nicht nur die Kliniken miteinander über Sicherheitskonzepte sprechen, sondern auch alle Hilfsorganisationen. Dabei geht es um gegenseitige Unterstützung und auch Großeinsätze. Diese Vorplanungen für eine Zusammenarbeit in der Krise haben sich von Ulm aus in Baden-Württemberg ausgebreitet. In Ulm gibt es zwei Krankenhäuser der höchsten Versorgungsstufe, die täglich im Umgang mit Schwerverletzten geübt sind. Durch das Bundeswehrkrankenhaus (BwK) kommt zusätzlich noch die Erfahrung aus Auslandseinsätzen hinzu.
Besondere Herausforderungen gibt es dabei, wenn es nicht nur zahlreiche Verletzte sind, die bei einem großen Unfall zu versorgen sind. Dort dauert es oft rund eine Stunde, bis die ersten Verletzten in den Krankenhäusern ankommen. Damit bleibt Zeit für die Vorbereitung, die Alarmierung von zusätzlichem Personal, das aus der Freizeit anfahren muss. Bei einem terroristischen Anschlag kommen die ersten Verletzten schon nach wenigen Minuten, denn die Leichtverletzten könnten beispielsweise mit der Straßenbahn direkt zur Uniklinik oder dem BwK fahren. Übungsleiter Rainer Benedens vom DRK Rettungsdienst hatte genau diesen Umstand eingeplant und gerade einmal eine Viertelstunde nach den ersten Schüssen im Blautalcenter fuhr der erste Geländewagen am BwK vor, bei dem zwei Schwerverletzte auf der Rückbank saßen.
Neben der Großübung muss auch die Versorgung aller Patienten weiterlaufen und auch in den Notaufnahmen kommen während der Übung echte Patienten an. Im Ulmer BwK wurde daher binnen weniger Minuten die Akutstation geräumt und die dortigen Patienten auf andere Stationen im Haus verteilt. Alle Patienten der Notaufnahme wurden in die Akutstation verlegt, Neuankömmlingen dort direkt versorgt und Dr. Jochen Lührs, der Leiter der Notaufnahme, konnte binnen 15 Minuten den Notfallbetrieb aufnehmen. Dazu wurden vorbereitete Wagen aus dem Lager geholt, in denen zusätzliche Krankentragen, Funkgeräte, Dokumentationsmaterial und medizinisches Material für solche Notfälle gelagert sind.
Unverzichtbarer Bestandteil neben Hunderten Klinikmitarbeitern sind die ehrenamtlichen Einsatzkräfte des Katastrophenschutzes. Im Ulmer Transportmodell ist bereits eingeteilt, welche Einheit welches Krankenhaus unterstützt. So assistieren Rettungssanitäter den Chirurgen, was jeder Rettungssanitäter bereits in seiner Ausbildung im Klinik-Praktikum gelernt hat, doch im Alltag nicht braucht. Für die Großeinsätze ist diese Zusammenarbeit essentiell wichtig. Da sich nicht jeder kennt, hat die Uniklinik ein einfaches System erdacht. Jeder Mitarbeiter trägt eine farbige Baseball-Kappe, um seine Qualifikation sichtbar zu machen. Chirurgen tragen eine grüne Kappe und Anästhesisten sind blau bemützt. Die Träger der roten Kappen betreiben die Sichtung und beurteilen in rund einer Minute pro Patient die Schwere der Verletzung und die nächsten Behandlungsschritte.
Im RKU werden überwiegend Leichtverletzte vom Rettungsdienst angeliefert und dort versorgt. Während der Sichtung fällt jedoch ein Patient auf, bei dem sich der Zustand während des Transports arg verschlechtert hat. Er braucht unbedingt mehr Versorgung als im Moment im RKU möglich ist. Eine Ärztin schultert den Notfallrucksack und zwei Rettungssanitäter schieben den Verletzten über den Fußweg vom RKU in das benachbarte BwK. Auch diese schnelle Art der Verlegung gehört zum Konzept der Ulmer Kliniken.
Auch wenn eine Übung als Spiel angesehen werden kann, sind die Teilnehmer hochmotiviert. So brauchte BwK-Kommandeur Benedikt Friemert keinen Befehl, um das Personal für die Übung heranzuholen. Auf einen Aufruf meldeten sich mehr als ausreichend viele Mitarbeiter, die an ihrem freien Samstag in das Krankenhaus gekommen sind.
Abgerundet wurde die Großübung durch die Aktivierung der Krankenhaus-Einsatzleitungen in der Uniklinik und im BwK, um auch zu testen, ob die weiteren Bereiche der Kliniken mit der plötzlichen Patientenmenge zurechtkommen. So benötigen beispielsweise Personal und Patienten Essen und es müssen zahlreiche Patientenakten angelegt werden. Genauso war auch der Führungs- und Krisenstab der Stadt Ulm einberufen worden, um alle Anforderungen neben den medizinischen Problemen zu lösen.
Auch die Nachbereitung der Übung ist für den Erfolg der Übung wesentlich. So waren Dutzende Beobachter an allen Einsatzstellen unterwegs und haben zahlreiche Notizen und Fotos gemacht, um zu dokumentieren, was gut gelaufen ist und wo verbessert werden kann. Unter den Beobachtern war auch Professor Felix Walcher aus Magdeburg, der im Dezember im Universitätsklinikum Magdeburg den Einsatz nach dem Attentat auf den dortigen Weihnachtsmarkt leiten musste und neben seiner Lehrtätigkeit auch in der Praxis einen ähnlichen Einsatz erleben musste. 230 Verletzte wurden vom dortigen Klinikverbund versorgt, dank sehr guter Vorbereitung waren nach fünf Stunden die Patienten versorgt und konnten sich in den Krankenhausbetten von ihren Verletzungen erholen.
Er berichtete, dass die Magdeburger Einsatzkonzepte dem Ulmer Konzept ähnlich sind und auf den Erfahrungen der Bundeswehr basieren. Falls es in Ulm zu einem echten Einsatz kommt „sind die Kollegen extrem gut vorbereitet“ urteilte Walcher nach der Übung.
Klare Worte fand der Fachmann jedoch für einen anderen Umstand. Für solche Großübungen gibt es keinen Etat von Land oder Bund. Die Kliniken und Rettungsdienste müssen die komplette Übung, Personal- und Materialkosten aus eigener Tasche bezahlen. „Auf keinen Fall kann es so weitergehen“ stellte der Magdeburger Professor fest, auch, da in seiner Wahrnehmung die Terroranschläge zunehmen. Auch die Leistung des Ehrenamtes im Katastrophenschutz hob Felix Walcher hervor, doch auch hier gehören verbesserte Strukturen und eine bessere finanzielle Ausstattung umgesetzt.
Das „Ulmer Transportmodell“ und auch die Großübung haben bundesweites Interesse an der Arbeit der Ulmer Einsatzkräfte hervorgerufen. So wurde sogar im ZDF Heute Journal darüber berichtet.