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Ärzte von traumateam mit in Kabul

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Text und Fotos: Th. Heckmann       An der internationalen Evakuierungsoperation am Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul waren auch Mitglieder von traumateam e.V. beteiligt: OTA Dr. Andreas Schwartz, früher Oberarzt in Ulm und seit vielen Jahren Beauftragter für Rettungsmedizin am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, sowie die beiden aktiven Notärzte auf dem Rettungshubschrauber Christoph 22 OFA Dr. Mirjam Kauper, die Ihren Geburtstag im Einsatz erlebte, und OFA Evgeni Sotnikov, der im Gespräch mit Thomas Heckmann von diesem außergewöhnlichen Einsatz berichtet:

Die bisher größte militärische Evakuierungsaktion der Bundesrepublik fand in der zweiten Augusthälfte in Kabul statt.  Nach seiner Rückkehr spricht der Oberfeldarzt Evgeni Sotnikov über seine Arbeit auf dem Kabuler Flughafen.

Die Oberfeldärzte Mirjam Kauper und Evgeni Sotnikov aus der Klinik für AINS des Ulmer Bundeswehrkrankenhauses während des Evakuierungseinsatzes in Kabul

Die Ärzte der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin u. Schmerztherapie (AINS) des Ulmer Bundeswehrkrankenhauses sind über einen Bereitschaftsplan in die spontanen medizinischen Hilfseinsätze der Bundeswehr eingebunden. Am Freitag, den 13. August war Sotnikov mit seiner Familie im Urlaub, als er telefonisch eine Vorwarnung für einen Evakuierungseinsatz bekam. Sofort brach er den Urlaub ab und packte seine Sachen für einen möglichen Einsatz. Am Samstag bekamen dann die beiden Ulmer Ärzte den Befehl, am Sonntag in das ostfriesische Leer zu fahren, denn dort wird das medizinische Einsatzpersonal gesammelt. Montagmorgen um vier Uhr startete dann von Wunstorf bei Hannover der erste von zwei Airbus A400M in Richtung Afghanistan. An Bord war nicht nur Brigadegeneral Jens Arlt, der die insgesamt 454 Einsatzkräfte befehligte, sondern auch alles an Material, was für solche eine Evakuierung benötigt wird. Dazu dann auch bewaffnete Fallschirmjäger bis hin zu Schutzhunden, um die Einsatzkräfte und das Material zu schützen sowie Sprengstoffe zu erschnüffeln. Nach einem Tankstop in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, sollte Kabul angeflogen werden, doch die Landebahn war durch Flüchtende blockiert. Das Flugzeug mit den Ulmern kreiste stundenlang über Kabul, um sofort landen zu können, wenn die Landebahn frei ist. Als der Treibstoff zur Neige ging, flog man weiter in die usbekische Hauptstadt Taschkent, um in der Nähe zu Kabul übernachten zu können. Zwischenzeitlich kreiste die zweite Maschine über Kabul, um dann bei der ersten Chance dort zu landen. Erst am Dienstag,17. August, war es dann für das Flugzeug mit den Ulmer Ärzten möglich, nach Kabul zu fliegen.

Damit war Sotnikov zum sechsten Mal binnen zehn Jahren in Afghanistan angekommen, in den regulären Einsätzen davor war er auch für jeweils zwei bis sechs Monate in Kunduz, Maimana und Masar-e Scharif.

Im Norden des Flughafengeländes wurde von den deutschen Soldaten ein verlassenes Verwaltungsgebäude eingenommen. So mussten die Helfer ihre mitgebrachten Zelte nicht aufbauen und hatten klimatisierte Bürocontainer, die sie zu medizinischen Noteingriffsräumen umgestalten konnten.

Der Ulmer Sotnikov spricht dann über einen medizinischen Alltag ähnlich eines Truppenarztes oder wie in einer Hausarztpraxis, kleinere Verletzungen, die schnell behandelt wurden, schwere Verletzungen konnten an die Koalitionstruppen übergeben werden. Die Norweger betrieben gemeinsam mit Amerikanern und Briten die Flughafenklinik, erbaut wurde sie vor vielen Jahren nach deutschen Standards.

Dann entstehen aber Pausen in den Berichten des Arztes, es ist deutlich spürbar, dass eine Masse an Eindrücken sortiert werden will. Sotnikov spricht von Gewehrschüssen und Explosionen, die immer wieder hinter der schützenden Flughafenmauer zu hören sind. Menschen, die in Panik gegen die Tore drängen, Menschen, die im Gedränge ohnmächtig werden, Menschen, die stürzen und von anderen Menschen verletzt werden, in der Panik zu Tode getrampelt werden. Sotnikov macht die Erfahrung, dass mehr Menschen zu Tode getrampelt werden als Menschen durch Schüsse sterben. Der Arzt vergleicht es mit der Massenpanik bei der Loveparade 2010, kann aber seine eigene innere Bewegung kaum ausdrücken, wenn er von diesem miterlebten Leid berichtet.

Er spricht von jungen Soldaten, die mit kleineren Beschwerden in den Sanitätsbereich kommen und diesen geschützten Raum mitsamt der ärztlichen Schweigepflicht nutzen, um über ihre psychische Belastung zu sprechen. Auch hier braucht man den Arzt mit seiner Erfahrung aus den Auslandseinsätzen, um jungen Kameraden zu helfen, die in der Heimat vieles gelernt haben, aber auf den Umgang mit einer tagelangen Massenpanik kann man niemanden vorbereiten.

Um Transportkapazitäten, auch für Verletzte und Verwundete, zu erlangen, finden die Soldaten zurückgelassene Geländewagen auf dem mehrere Quadratkilometer großen Flughafengelände. Die Fahrzeuge werden aufgebrochen und kurzgeschlossen. Doch dann kommt das Wichtigste, auf den Fahrzeugen werden mit Farbe Deutschland-Schriftzüge angebracht, damit die Fahrzeuge nicht von anderen Soldaten vereinnahmt werden. Damit folgen die Deutschen dem Vorgehen der anderen Nationen.

Neben dem Klinikbetrieb begleitete das deutsche Sanitätspersonal die Evakuierungsflüge nach Taschkent und bestreifte die Wartebereiche voller Flüchtlinge, um dort Erste Hilfe zu leisten. An den Toren des Flughafens, so auch am Nordtor, das von Deutschland überwiegend als Zugang für seine zu evakuierenden Bürger nutzte, war auch ständig ein Arzt vor Ort, um Verletzte aus dem Gedränge zu versorgen.

Wenn das Gedränge vor den Toren zu groß wurde, haben Soldaten anderer Nationen die Menge mit Tränengas auseinandergetrieben, um weitere Tote zu verhindern. Die Verletztenversorgung war dann wieder teilweise deutsche Aufgabe. Sotnikov erzählt bewegt von Einzelschicksalen, die ihm nahegegangen sind. Eine Mutter mit einem zwei Tage alten Kind wurde nach so einem Tränengaseinsatz zu den deutschen Sanitätern gebracht. Neben den Folgen des Gaseinsatzes, litt sie auch an den Folgen der kürzlich zurückliegenden Geburt. Nach einer Pause sagt Sotnikov dann mit leiser Stimme, dass er nicht weiß, was mit Mutter und Kind geschehen ist, ob die beiden ausreisen durften oder ob sie wieder zurück vor das Flughafentor gebracht wurden, da sie nicht ausreiseberechtigt waren.

Der Ulmer Anästhesist Evgeni Sotnikov war bei der Evakuierungsaktion auf dem Kabuler Flughafen im Einsatz

Nach zwölf Nächten zu elft in Schlafsäcken auf dem Fußboden geht es zurück nach Taschkent, dort erfahren sie von dem Selbstmordattentat mit 92 Toten direkt vor einem der Flughafentore.

Ende August beendet Deutschland die Evakuierung über die Luft mit 5.347 Zivilisten aus 45 Nationen, darunter 500 Deutsche. Das Auswärtige Amt vermutet noch rund 300 Deutsche in Afghanistan, dazu kommen etwa 10.000 ausreiseberechtigte Afghanen.

Für Sotnikov sind auch nach diesem Einsatz die Probleme in Deutschland „unbedeutend“ gegen die Probleme in den Ländern, die er im Einsatz bereist hat. Nach der Rückkehr aus Afghanistan schätzt der Arzt die Ruhe, die Schönheiten in Deutschland. Er hat sich auf sein Fahrrad gesetzt: „Es hat genieselt, es war grün, es war frische Luft, ich war Zuhause!“

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