Häufig wird die Notfallmedizin in Großbritannien (GB) als beispielhaft für eine Optimierung der notfallmedizinischen Versorgung durch Fachärzte für Notfallmedizin auch in Deutschland angepriesen: Eine prähospitale Versorgung, die sich weitgehend auf Paramedics stützt und auf eine erste ärztliche Versorgung in den Notfallaufnahmen durch speziell ausgebildete Notfallmediziner.
In einem Kommentar im Deutschen Ärztblatt berichtet nun Karl Thies, der seit vielen Jahren als anästhesiologischer Oberarzt in Großbritannien tätig ist, dass die britische Notfallmedizin in einer tiefen Krise stecke: Dazu führt er aus, dass die Notfallmedizin als selbständiges Fach große Probleme habe mit den internationalen Entwicklungen der klassischen notfallmedizinischen Disziplinen Schritt zu halten. Internisten, Anästhesisten und Chirurgen hätten sich aus der Notfallversorgung zurückgezogen, ohne dass die Notfallmediziner es geschafft hätten, die entstandenen Kompetenzlücken zu schließen. Thies führt auch Untersuchungen an um zu bestätigen, dass z.B. mehr als die Hälfte der Traumapatienten in Großbritannien suboptimal versorgt seien.
Der Kommentar zielt darauf ab, vor einer unkritischen Einführung eines Facharztes für klinische Notfallmedizin in Deutschland zu warnen. Mit ähnlichen Argumenten hat bereits eine Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) sowie die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) einen Facharzt für Notfallmedizin abgelehnt und eine Zusatzweiterbildung „Interdisziplinäre Notaufnahme“ gefordert für erfahrene Kollegen der an der Notfallversorgung beteiligten Fachdisziplinen. Dazu wurde ein Kurs-Curriculum erarbeitet, nach dem bereits erste Kollegen in Pilot-Kursen in Leipzig und Hannover ausgebildet wurden. Der interdisziplinäre Versorgungsansatz in der deutschen Notfallmedizin wird hierdurch weiter gefördert. Ähnlich wie mit der Zusatzbezeichnung „Intensivmedizin“ können Ärzte mit der Zusatzweiterbildung „Interdisziplinäre Notaufnahme“ auch Krankheitsbilder versorgen, die fachspezifisch nicht der eigenen Disziplin zugeordnet sind (bespielsweise der Neurologe den akuten Bauchschmerz), ohne die grundsätzliche fachübergreifende Zusammenarbeit in Frage zu stellen.
Die Beteiligten dieses Projekts sind sich einig, dass eine Zentrale Notaufnahme einen wichtigen Anlaufpunkt für den Rettungsdienst wie für Patienten darstellt, und dass dort durch interdisziplinäre Zusammenarbeit aller in einer Klinik vertretenen Fachabteilungen ein hoher Versorgungsstandard gewährleistet werden kann. Ein Konzept, welches auch das Ulmer Bundeswehrkrankenhaus seit Jahren konsequent mit der Zentralen interdisziplinären Notfallaufnahme (ZINA) verfolgt.